Hallo zusammen!
In dem letzten Jahr und vor allem in den letzten 3 Monaten hat sich eine ganze Menge getan und möchte deshalb gerne meine Erfahrungen teilen. Danke jetzt schon an alle, die sich die Mühe machen, bis zum Ende zu lesen. Denn voraussichtlich werde ich mich kaum kurz fassen können
(aber ich versuche es, versprochen).
Im August hatte ich das große Privileg, 4 Wochen in Portland verbringen zu dürfen. Diese 4 Wochen waren noch nötig, um den Auslandsaufenthalt für mein Studium zu vervollständigen. Mit Charlies Hilfe konnte ich für relativ kleines Geld in Portland unterkommen und hatte das Vergnügen, mindestens jeden zweiten Tag eine Unterrichtsstunde bei und mit ihm zu haben. Dies war auch nötig, denn am 26. September stand meine Abschlussprüfung auf Trompete im Rahmen des Schulmusikstudiums auf dem Programm. Das Prüfungsprogramm musste (fast) komplett erarbeitet werden. Gemeinsam hatten wir uns für Hummel 1. Satz, Morceau de Concert (Pennequin), die Aria aus Aria et Scherzo von Aroutiounian und Rondo for Lifey entschieden. Das Programm war zu dem Zeitpunkt eine wirkliche Herausforderung und ein ganzes Stück Arbeit, aber dazu evtl. später mehr.
Zunächst jedoch mussten wir uns um ansatztechnische Grundlagen kümmern, da immer noch nicht alles so lief, wie es sollte. (Wann ist das auch schon mal so? Man lernt ja nie aus
)
Da haben wir natürlich all das geübt, was hier auch schon angesprochen worden ist. Deswegen möchte ich über das Setting etc. ungern erneut ins Detail gehen. Dennoch kann ich nicht genug betonen, dass das richtige Setting und die Art und Weise, wie man sich über den gesamten Tonumfang bewegt, essentiell ist. Hier soll es folglich auch nicht darum gehen, Charlies "Methoden" zu verherrlichen, denn diese sind, wie er auch selbst sagt, nicht "seine Methoden", sondern lediglich das, was er bei den Besten der Welt (wie Wynton, Faddis, Höfs, Friedrich, Morrison, Dokshidzer, M. André usw.) beobachtet bzw. beobachtet hat.
Schließlich lässt sich hierüber m.E. nach auch gar nicht streiten: Wir brauchen...
- stets eine stabile Verbindung mit dem Mundstück, unabhängig von Lage und Dynamik
- Kontrolle über den Luftstrom
- eine Lippenstellung, die es erlaubt, die Lippen direkt in Schwingung zu versetzen bzw. direkt auf den Luftstrom reagieren zu lassen
- eine Öffnung, die groß genug ist, damit Luft ungestört hinausströmen kann, aber klein genug ist, um die Schwingung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.
Charlies Lösungsvorschlag und Beobachtungen, die er mit seinem Video "How to Form a Brasswind Embouchure in Four Steps" anbietet, sind m.E. diejenigen, die langfristig zum Erfolg führen. Natürlich kann man die genannte Punkte auch anders erreichen und umsetzen. Jedoch handelt es sich hier letztlich um Kompensationsmechanismen, mit denen man irgendwann an Grenzen stoßen wird. Aber genug dazu.
Doch warum blieben bei mir die erhofften Fortschritte aus? Mir waren die Konzepte ja schon lange vorher bewusst und bei anderen (s.o.) scheint es ja bestens zu funktionieren. Nun ja, rückblickend kann ich das an zwei Dingen festmachen: Ungeduld und fehlende Kontinuität. Man darf niemals vergessen, dass es sich bei diesem Prozess ja um alte, schlechte Gewohnheiten handelt, die man loswerden bzw. überschreiben möchte. Die aktuelle Forschung belegt, dass dies mindestens 66 Tage dauert und nicht mehr wie früher vermutet 3 Wochen (ohne jetzt eine Quelle herausgesucht zu haben). Ich stand im August insofern unter Druck, dass ich sowohl an meiner Bachelorarbeit arbeiten musste, meine Technik optimieren musste und ein Prüfungsprogramm bewältigen musste. Da hatte ich kaum eine andere Wahl als effizient und sinnvoll zu üben.
Das motorische Hauptproblem war rückblickend, dass die Levator-Muskeln (die, die die Oberlippe hochziehen) quasi genau das Gegenteil von dem gemacht haben, was sie eigentlich sollen. Denn ab c-e'' haben sie eher nach unten gedrückt, statt die Lippe nach oben zu ziehen. Sprich, das Gleichgewicht von Levator und Depressor war nicht vorhanden. Dies äußerte sich dann dadurch, dass meine Unterlippe tendenziell unter der Oberlippe nach wie vor verschwinden wollte. Natürlich konnte ich höher spielen etc., aber i.d.R. äußern sich derartige Probleme bzw. ansatztechnische Probleme schon viel früher, sprich in der unteren/Mittellage.
Wie konnte ich das Problem also lösen?
Rückblickend eigentlich echt einfach: regelmäßiges, tägliches (!!!), kleinschrittiges und penibles Üben und zwar immer mit Fokus auf die hier genannten Konzepte. In meinem Fall hat mir das Üben mit Spiegel sehr geholfen. Nochmal: Ich musste alte Gewohnheiten überschreiben. Das heißt, all das, was man jetzt neu übt, fühlt sich unter Umständen komisch und ungewohnt an. Das ist aber lediglich unser Gehirn, was uns einen Streich spielen will. Denn das wählt den Weg des geringsten Widerstands: Alt und Komfort ist gut, neu und ungewohnt ist schlecht.
Konkret hieß dies für mich:
- das Üben vom Wechsel zwischen großer und kleiner Lippenöffnung mit dem Visualizer und auch trocken im Alltag (je öfter, desto besser). Und zwar mithilfe der Muskulatur rundherum (siehe Charlies Four Steps).
- Lippen- und Mundstückbuzzing nach Stamp (kann aber auch irgendwas anderes sein, Hauptsache man hat eine Referenz und kann den Fortschritt erkennen und messen).
- "Daily Drills" wie einfache Bindungen. Alles mit Klavier, danach Mundstück, danach auf der Trompete.
Ganz wichtig ist natürlich wie immer einfach der gute, offene Sound. Deswegen gehörten Whisper-Breath Attacks auch dazu. Denn dann ist alles schön fokussiert und dennoch offen.
Da die Gewohnheiten langsam erlernt werden, ist es wichtig die Muskelbewegungen, um von großer zu kleiner Lippenöffnung zu wechseln, anfangs bewusst zu übertreiben. Dies hilft, um die Gewohnheiten schneller und besser zu etablieren.
Dies war jedoch nach 2-3 Wochen auch gleichzeitig ein Fehler, den ich gemacht habe. Denn wenn man im normalen Spiel die Bewegungen übertreibt, arbeitet man schlicht viel zu viel. Dies äußert sich dann in schlechter Ausdauer und in schneller Ermüdung in der Mittellage. Zudem geht der innere Fokus der Lippen, also die flacher werdende Bewegung Richtung Zähne, verloren.
Am Ende des Tages geht es immer um guten Sound und um Effizienz. Die erreichen wir, indem wir versuchen schlechte Gewohnheiten etc. zu minimieren. Ein "perfekt" gibt es ohnehin nicht.
Am Ende der vier Wochen war ich dann schon einen ganzen Schritt weiter und die alten Gewohnheiten waren schon deutlich abgeschwächter.
Damit der Beitrag nicht weiter ausufert, verzichte ich an dieser Stelle auf weitere Details und methodische Vorgehensweisen.
Was darüber hinaus nämlich noch erwähnt werden muss ist die Atmung und die Haltung:
Diese beiden Komponenten sind ebenso wichtig und dürfen niemals vernachlässigt werden. Da ich ja in Portland war, musste ich natürlich auch Dave Monette einen Besuch abstatten.
Auch das hier soll jetzt keine Werbung werden und letztlich sind Geschmäcker und Ansichten ja auch einfach verschieden. Deswegen bitte keine Grundsatzdiskussionen über die Monette-Politik. Ich sehe aber ein, dass man sich hier durchaus streiten kann.
Lange Rede, kurzer Sinn: Dave Monette hat mich eine Stunde lang mit Zero Balancing und Feldenkrais wortwörtlich gerade gerückt. Fehlhaltungen äußerten sich vorher in vorgeschobener Hüfte, Bewegungen des Kopfes beim Spielen, falsche Fußstellung, Bewegungen der rechten Schulter und die dadurch resultierende flache Atmung.
Glaubt mir einfach, wenn ich sage, dass wir ernsthaft wieder erlernen müssen, was es überhaupt heißt, gerade zu sein. Es ist wirklich so. Das vorher-nachher-Körpergefühl ist unbeschreiblich und man merkt erstmal wie krumm und schief man vorher überhaupt war.
Zusammenfassung gute Haltung:
- Füße sind hüftbreit aufgestellt und zeigen nach vorn
- Knie sind locker, nicht angespannt bzw. durchgedrückt
- die Hüfte ist gefühlt eher weiter hinten als sonst (es fühlt sich im ersten Moment etwas so an, als würde man sein Hinterteil herausstrecken)
- aufrechte Brust
- Schultern sind hinten
- gerade Kopf, meist oft gefühlt etwas weiter unten als man es gewohnt ist
Das alles fühlt sich zunächst ungewohnt an und muss genauso im Alltag und beim spielen geübt werden wie alles andere auch. Natürlich soll sich trotzdem alles natürlich anfühlen und völlig beschwerdefrei sein.
Macht man den direkten Vergleich und versucht genau das Gegenteil davon zu machen, wird man feststellen wie sehr sich die Atmung unterscheidet. Die Atmung soll auch möglichst natürlich sein. Kein übertriebenes Hineinsaugen der Luft und auch kein bewusstes Ausstrecken des Bauches.
Bei gerade und guter Haltung strömt die Luft beim Einatmen ganz weit nach oben (gefühlt bis wirklich ganz nach oben zum Hals) und beim Ausatmen ganz nach unten bis zum Becken. Bei schlechter Haltung wird man feststellen, dass die Luft bereits auf halber Strecke auf Widerstand trifft und nicht frei strömen kann. Dass dies ein en großen Unterschied für das Spielen und den Sound bedeutet, sollte klar sein.
Probiert es einfach mal aus. Einfach mal mit der Hand die Luft verfolgen und Anzeigen ob und wo man Widerstand spürt. Der Unterschied kann und wird einem die Augen öffnen.
Charlie propagiert hier besonders die aufrechte und offene, selbstbewusste Position der Brust. Dadurch macht man schon einiges richtig.
Über Monette Mundstücke möchte ich nur so viel sagen, dass sie bei gerade Haltung schlicht funktionieren. Auch die Sache mit dem Constant Pitch Center kann ich zu 100% bestätigen. Für mich ist Fakt, dass meine alten Mundstücke, die oben genannten Fehlhaltungen mindestens mal getriggert, wenn nicht sogar teils verursacht haben. Einfach, weil man gezwungen war, mit dem Körper zu kompensieren, wenn man richtig intonieren wollte. Mundstücke wie Yamaha oder Tilz sind für mich jetzt unspielbar geworden.
In meiner Recherche zu meiner Bachelorarbeit, die körperliche Beschwerden beim Trompete spielen bei Kindern und Jugendlichen untersucht, wurde mir die Sache mit dem Constant Pitch Center bzw. die Bauart von Trompeten und Mundstücken und die damit verbundenen Intonationsschwächen von einem renommierten Wissenschaftler bestätigt. Aber auch hier gilt: Do whatever works for you.
Letztlich habe ich es gschafft meine alten Gewohnheiten loszuwerden und mache seit Ende August fast täglich Fortschritte. Auf den Lippen buzze ich jetzt bis zum klingenden b2 und der Tonumfang wird monatlich größer (mittlerweile wieder beim sicheren b/h2, Grenze bei f3, und squeaks bis in die viergestrichene Lage und höher).
Zuzeit helfen mir whisper tones ungemein. Nach etwas Experimentieren bin ich damit warm geworden und es ist nicht mehr anstrengend (->Effizienz!). Manchmal mache ich ganze whisper tone-Sessions. Das ist wirklich wie Medizin. Die Flexibilität geht durch die Decke. Atemübungen a la Breathing Gym machen alles nur noch besser.
Deswegen kann ich jeden hier nur ermutigen, sich auf diesen Weg zu begeben. Ja, es ist manchmal frustrierend und ja, es kann auch lange dauern. Aber man kann auch schnell auf die richtige Spur kommen.
Wie auch immer...ich könnte ein ganzes Buch hierüber schreiben. Deswegen höre ich jetzt mal einfach auf
.
Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn der ein oder andere die hier genannten Konzepte ebenfalls praktiziert und damit Fortschritte macht. Eines habe ich gelernt: Wenn alles effizient bei guter Haltung funktioniert, ist Trompete spielen einfach, besonders in der Höhe. Weniger ist mehr und das Ganze ist schlicht grenzenlos.
Ich freue mich über eure Berichte, sofern es jemanden gibt, der diese Konzepte auch praktiziert. Sehr gerne könnt ihr mir bei größerem Interesse oder bei Fragen auch eine PN schicken. Mit einem Trompeterkollegen aus München tausche ich derzeit Videos über We Transfer Collect aus. Wenn jemand hieran teilhaben möchte, bin ich gerne bereit bei Zeiten das Ganze nochmal anders aufzuziehen. Auch für Videocalls bin ich grundsätzlich offen, um meine Erfahrungen zu teilen.
Danke, beste Grüße & noch einen schönen Sonntag
Jens