Hallo, Hannes,
habe meine erste Enttäuschung überwunden und fühle mich nunmehr in der Lage, das eine oder andere Missverständnis aus dem Wege zu räumen.
Das von mir entworfene muttersprachliche Modell des Erlernens der Jazzsprache möge man doch bitte nicht allzu wörtlich nehmen.
De facto lernt niemand Jazz als Muttersprache, sondern Deutsch, Englisch, Fränzösisch, Suaheli or whatever.
Die Einsicht in die sprachliche Entwicklung des Klein(st)kindes kann jedoch Anregungen geben, wie man Jazz auch lernen kann/könnte: intuitiv, emotional, naiv, ambitionslos, ergebnisoffen.
Schwierig wird es, wenn jemand einen Wayne-Shorter-Tune spielen zu müssen meint, der keinen Wayne-Shorter-Tune spielen sollte, weil er (noch) keine Ohren für einen (diesen) Wayne-Shorter-Tune hat. Da ist der Lederwestenonkel in der Regel bescheiden genug - und die Jazzcombo der Technischen Universität tendenziell eher überambitioniert.
Wenn mich jemand auf Trompeten-Anfänger-Unterricht anspricht, weil er so gern Woody Shaw hört und deshalb möglichst bald genauso spielen können möchte, kriege ich Pickel.
Was sich über mehr als hundert Jahre organisch hat entwickeln können, ist schwerlich in zehn, fünf oder gar noch weniger Jahren mit irgendeiner Methode so gründlich zu durchdringen, dass das Ergebnis nicht nach elendig holpernder "Fremdsprache" und völlig blutleer klingt. Wozu also?
Daher: sich anfangs auf - genau, Hannes! - "einfache Jazzstrukturen" beschränken, dafür umso intensiver in diese "hineinkriechen" und darauf vertrauen, dass man selbst - fast immer zwangsläufig - ein Stück weit die historische Entwicklung nachzeichnen wird. Ob diese dann bei Satchmo oder bei Django Reinhard stecken bleibt, beim Bebop Halt macht, bis zu Wayne Shorter oder gar bis in die Gegenwart reicht, ist ganz individuell und darüber hinaus ziemlich wumpe, solange der Betreffende schöpferisch sein kann und dann und wann den Flow erlebt. Diese Ausschüttung von Endorphinen, von der ich annehme, dass sie es ist, die mich auf die Bühne treibt, soll man nicht verwechseln mit der Ausschüttung von Stresshormonen (Adrenalin u.a.) beim Auftürmen von mathematisch errechneten Klanggebilden, die laut David Baker doch eigentlich - verdammt nochmal! - zu Akkord XY passen müssten.
Dass auch jemand mit (m)einem eher Old-School-Approach früher oder später verstehen möchte, warum etwas in einem bestimmten Kontext gut klingt und etwas Anderes nicht, versteht sich. Dass man über die Auseinandersetzung mit der Jazztheorie Anregungen für die Jazzpraxis gewinnen kann, ist nahe liegend. Das Paket muss stimmen. Schwarz und Weiß kennt nur der Malkasten.
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schönes Arpeggio-Pattern
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Re: schönes Arpeggio-Pattern
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Re: schönes Arpeggio-Pattern
... es ging doch nur darum, wie man die Sprache des Jazz am besten erlernt!
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Re: schönes Arpeggio-Pattern
Das wuerde ja heißen, dass es aussichtlos waere, dieses anzugehen.Bixel hat geschrieben:Was sich über mehr als hundert Jahre organisch hat entwickeln können, ist schwerlich in zehn, fünf oder gar noch weniger Jahren mit irgendeiner Methode so gründlich zu durchdringen, dass das Ergebnis nicht nach elendig holpernder "Fremdsprache" und völlig blutleer klingt. Wozu also?
Du bist also der Meinung, dass Frederik Köster, Julian Wasserfuhr und alle anderen noch nicht ein biblisches Alter erreicht habenden jungen Musiker automatisch "holpernd und völlig blutleer" klingen? Das finde ich nicht.
Die Schlussfolgerung, dass etwas, das sich sich ueber sehr lange Zeit entwickelt hat, auch nur in sehr langer Zeit erschlossen werden kann, wuerde ja heißen, dass man sich fast allen Wissenschaften und kulturellen Errungenschaften gar nicht erst zu naehern braucht, da man ja sowieso nicht lange genug leben wird, um nur annaehernd in diese Gebiete "einzutauchen".
Gruß
Tobias
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Re: schönes Arpeggio-Pattern
Ich nannte es nicht aussichtslos, sondern (be)"schwerlich".Das wuerde ja heißen, dass es aussichtlos waere, dieses anzugehen.
Je reicher jemand von der Natur beschenkt wurde, desto leichter (und schneller) wird sie/er die Sache angehen können.
Das finde ich auch nicht. Musiker wie die Genannten, die bereits in sehr jungen Jahren holperfrei und vollblütig "Jazz sprechen", vereinen nach meiner Beobachtung den sehr frühen, meist hochgradig intuitiven Approach des Naturtalents mit einer gewissen (konstruktiven) Besessenheit.Du bist also der Meinung, dass Frederik Köster, Julian Wasserfuhr und alle anderen noch nicht ein biblisches Alter erreicht habenden jungen Musiker automatisch "holpernd und völlig blutleer" klingen? Das finde ich nicht.
Wissenschaften liefern Erkenntnisse - induktiv, deduktiv. Wer intelligent genug ist, versteht (und durchdringt damit) z.B. eine Formel oder einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang quasi in Realtime.Die Schlussfolgerung, dass etwas, das sich sich ueber sehr lange Zeit entwickelt hat, auch nur in sehr langer Zeit erschlossen werden kann, wuerde ja heißen, dass man sich fast allen Wissenschaften und kulturellen Errungenschaften gar nicht erst zu naehern braucht, da man ja sowieso nicht lange genug leben wird, um nur annaehernd in diese Gebiete "einzutauchen".
Bei kulturellen Errungenschaften wird es schon etwas schwieriger, weil häufig nicht allein das Intellekt beteiligt ist.
Bei wirklich guter Musik, insbesondere bei jener teilweise Improvisierten mit afro-amerikanischen Wurzeln, ist der rational erfassbare Anteil am Gesamtgeschehen vergleichsweise so gering, dass da "realtime" wenig zu holen ist. Man muss ein Gefühl dafür entwickelt haben, wenn man in den vollen Genuss der Message gelangen will und nochmehr Gefühl, um eine Message von Wert versenden zu können.
Womit wir wieder am Anfang wären. Warum auch nicht?
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