Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Hier geht`s um die klassischen Stücke,Märsche,Techniken etc.

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bpcw001
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von bpcw001 »

burt hat geschrieben: Mittwoch 11. Mai 2022, 14:54 Natürlich ist es Geschmackssache aber inwieweit oder inwiegut sich ein Klang mischt, hängt m.E. auch von der Besetzung des kompletten Klangkörpers ab. Wenn ein Consortium ausschließlich auf alten, originalen oder deren nachgebauten Instrumenten spielt, so sind die Trompeten natürlich entsprechend zu wählen und dann würde eine Piccolo auch keinen Sinn machen.
Bei der Verwendung von modernem Instrumentarium hat die Piccolo schon ihre Existenzberechtigung und es gibt genug Aufnahmen, wo diese eben nicht heraussticht. Wenn ein wahrer Könner am Werk ist, wird die moderne Piccolo auch sehr gut mit dem übrigen Instrumentarium und den entsprechenden Klängen harmonieren, ohne das es unangenehm wird.

Diese z.B. :)
https://www.youtube.com/watch?v=itMGfO64-0Q

Klar gibt es auch Aufnahmen, wo es nicht gut klingt. Die gibt es aber auch bei der Verwendung von Naturtrompeten. Kommt eben auf das Ensemble und das Können der Bläser an.
Im übrigen ist es ja auch so, dass gerade in den großen Oratorien und Kantaten die Trompete oftmals die Aufgabe der Ankündigung oder Verkündigung übernimmt und mit ihrem strahlenden Ton sehr wohl etrwas herausstechen kann und sogar muss. Und es stellt sich auch für mich immer wieder die Frage, ob wir mit dem modernen Instrumentarium den wahren Intentionen der Komponisten nicht viel näher kommen.
So sehe ich das auch. Danke Burt!
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Singvögelchen »

Traumhaft schön gespielte Bassarie. Ohne jeden Schnickschnack, klanglich überragend.
Liebe Grüße vom Singvögelchen!


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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von blechfan »

Singvögelchen hat geschrieben: Mittwoch 11. Mai 2022, 21:25 Traumhaft schön gespielte Bassarie.
:gut:
Aber alptraumhaft gesungene Bassarie.
Warum nimmt man beim ZDF immer wieder Opernsänger her für Kirchenmusik? Kein Sachverstand in der Musikredaktion?
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von bpcw001 »

blechfan hat geschrieben: Donnerstag 12. Mai 2022, 09:48
Singvögelchen hat geschrieben: Mittwoch 11. Mai 2022, 21:25 Traumhaft schön gespielte Bassarie.
:gut:
Aber alptraumhaft gesungene Bassarie.
Warum nimmt man beim ZDF immer wieder Opernsänger her für Kirchenmusik? Kein Sachverstand in der Musikredaktion?
Ich hoffe ja nicht, dass das ZDF konkret über die Besetzung der Künstler entscheidet. Oder doch? Wie läuft das? Machen das nicht Leute vom Fach?
In den ÖR-Medien ist es auch bei anderen Themen leider allzu oft nicht weit her mit dem Sachverstand.
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Singvögelchen »

Zum Glück sind wir ja hier das Trompetenforum, da müssen wir uns um Sänger nur wenig Gedanken machen und auch über den Sachverstand der ZDF Musikredaktion.

Allerdings: als vor Jahren die alte (modern gespielte) Fassung der Eurovisionsmelodie durch die inegale barock-swingende abgelöst wurde, musste ich mich auch erstmal schwer umgewöhnen. Inzwischen gefallen mir beide Varianten nicht mehr.
Liebe Grüße vom Singvögelchen!


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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von blechfan »

Singvögelchen hat geschrieben: Donnerstag 12. Mai 2022, 19:11 Zum Glück sind wir ja hier das Trompetenforum, da müssen wir uns um Sänger nur wenig Gedanken machen und auch über den Sachverstand der ZDF Musikredaktion.
Ja, müssen nicht, aber dürfen schon. Immerhin drücken wir pro Haushalt jährlich 220,32 € ab für die Zwangsgebühr alias Rundfunkbeitrag für die Öffentlich-Rechtlichen. Da darf man schon auch mal eine ordentliche Besetzung bei den wenigen Kultursendungen erwarten. Für irgendwelche Schlagerfuzzis werden schließlich auch Tausende von Euros Honorar gezahlt.
Und eine Bachkantaten-Arie ist halt keine Opernarie. Es geht ja nicht nur darum, die richtigen Töne irgendwie zu singen. MHO.
Gruß blechfan
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von trompeteinberlin »

Das müsste man recherchieren inwieweit das ZDF beim Sängercasting Mitspracherecht hat. Vielleicht war er damals bei Sony unter Vertrag, da wurde ja die CD gemacht, vielleicht wollte ihn Donald Runnicles haben. Da gibt es etliche Faktoren.
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Haralder »

Der Beitrag ist zwar etwas älter, zeigt jedoch das Problem beim betrachten der historischen Praxis.
bpcw001 hat geschrieben: Mittwoch 11. Mai 2022, 14:14 Und wer sagt, dass Bach oder Händel nicht die moderne Piccolo bevorzugt hätten, wenn die denn damals existiert hätte?
Nehmen wir einmal an, dass wir eine Zeitmaschine hätten und einmal einige Hundert Jahre zurückreisen und einem der großen Komponisten Moderne Instrumente mitbringen. Ich würde sehr stark vermuten, dass diese dann unsere Instrumente genau so wahrnehmen wie wir die alten. Sie werden für die Komponisten und Musiker nicht gut klingen und sie würden sie wohl nicht nutzen wollen.

Warum ist das so? Ganz einfach, Musik ist seit der Entdeckung immer im Wandel. Es gab immer Veränderungen bei den Instrumenten, den Tonarten und den Stimmungen. Die Menschen damals waren es so gewohnt und empfanden es als stimmig und angenehm.

Bei historischen Aufführungen wird meist ein essentieller Fehler begangen. Es werden alte Stücke genommen und mit alten Instrumenten gespielt. Dummerweise spielen diese Musiker dann aber nicht das historische Stück, sondern sie versuchen mit historischen Instrumenten die Modernen Fassungen der Stücke zu spielen. So was kann nun wirklich nicht historisch sein. Die Stücke von Bach, Händel und co. welche wir heute kaufen können sind nicht die Stücke die sie damals geschrieben haben. Es sind alles Bearbeitungen die auf unsere heutigen Tonsysteme, Hörgewohnheiten und Stimmungen angepasst sind. Es sind also eher Annäherungen an die Originale. Man müsste also mit den alten Instrumenten die alten Tonsysteme und Stimmungen spielen, von den originalen Aufzeichnungen der Komponisten. Während das beim Blech und Streicher noch möglich wäre, so ist spätestens bei vielen anderen Instrumenten Schluss. Selbst Orchester haben z.B keine Cembali die 19-stufig sind. Wir Bläser kennen es ja, dass es eben doch ein Unterschied ist, ob man nun ein e, fes, eis oder f spielt. Und ein modernes Instrument mit festen Tonsystem kann nur ein e oder ein f spielen. Mal ganz davon abgesehen, dass unser f nicht das gleiche f wie vor 200 Jahren ist.

Würde mal also wirklich historisch korrekt Aufführen wollen, dann müsste man zuerst die alten Tonsysteme für dieses Stück lernen, alle Instrumente entsprechend umstimmen und anpassen sowie komplett die Instrumente mit dem damaligen Klang nutzen. Dazu die originalen Noten. Nun dann wäre es historisch wohl eine gute Annäherung, die mit unseren Hörgewohnheiten wohl wenigen gefallen wird.

Also lassen wir doch den Quatsch! Musik hat sich immer nach Vorn entwickelt und niemals zurück. Also interpretieren wir doch die Stücke weniger historisch korrekt, sondern so wie sie uns heute gefallen. In 500 Jahren wird man auch Stirnrunzelnd auf unsere Musikpraxis zurückschauen und unsere Nachfahren werden wohl genau die gleichen Diskussionen führen :)

BTW
So lange wir keine Audio Aufzeichnungen aus 1800 und davor finden, können wir auch nur vermuten wie damals musiziert wurde. Viele Musikforscher haben sich da ordentlich den Kopf zerbrochen um es möglichst genau zu ermitteln. Schlussendlich ist das aber alles ohne Tonaufzeichnungen nur Spekulation. Kann so sein, kann aber auch ganz anders gewesen sein.
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Abri »

Also, dazu muss ich mich jetzt doch mal zu Wort melden:

Haralder hat geschrieben: Sonntag 9. Juli 2023, 13:19 Bei historischen Aufführungen wird meist ein essentieller Fehler begangen. Es werden alte Stücke genommen und mit alten Instrumenten gespielt. Dummerweise spielen diese Musiker dann aber nicht das historische Stück, sondern sie versuchen mit historischen Instrumenten die Modernen Fassungen der Stücke zu spielen. So was kann nun wirklich nicht historisch sein. Die Stücke von Bach, Händel und co. welche wir heute kaufen können sind nicht die Stücke die sie damals geschrieben haben. Es sind alles Bearbeitungen die auf unsere heutigen Tonsysteme, Hörgewohnheiten und Stimmungen angepasst sind. Es sind also eher Annäherungen an die Originale.

Sorry, aber wie kommst Du denn da drauf? Auch wenn es durchaus verlegerische Fragwürdigkeiten auf dem Markt gibt, ist es eigentlich seit Jahrzehnten Standard, nach "Urtext" Ausgaben zu spielen. Darüber hinaus sind mittlerweile oftmals Autographe online einsehbar, z.B beim Bacharchiv Leipzig.

Haralder hat geschrieben: Sonntag 9. Juli 2023, 13:19 Man müsste also mit den alten Instrumenten die alten Tonsysteme und Stimmungen spielen, von den originalen Aufzeichnungen der Komponisten. Während das beim Blech und Streicher noch möglich wäre, so ist spätestens bei vielen anderen Instrumenten Schluss. Selbst Orchester haben z.B keine Cembali die 19-stufig sind. Wir Bläser kennen es ja, dass es eben doch ein Unterschied ist, ob man nun ein e, fes, eis oder f spielt. Und ein modernes Instrument mit festen Tonsystem kann nur ein e oder ein f spielen. Mal ganz davon abgesehen, dass unser f nicht das gleiche f wie vor 200 Jahren ist.

Die verschiedenen Grundstimmungen zu verschiedenen Zeiten sind durchaus bekannt. Mit "Tonsystem" meinst Du vermutlich das, was man Temperatur nennt, also die Abstände der Töne zueinander (z.B. rein, mitteltönig, temperiert). Es ist zwar richtig, dass es da sowohl zeitlich als auch geographisch durchaus Unterschiede gab, aber auch darüber gibt es hinlänglich zeitgenössische Informationen, etwa Schlick (1511), Werckmeister (1681) oder Kirnberger (1766).
Derlei ist hinlänglich bekannt und allgemeiner Standard in der Ausbildung "alte Musik".

Haralder hat geschrieben: Sonntag 9. Juli 2023, 13:19 So lange wir keine Audio Aufzeichnungen aus 1800 und davor finden, können wir auch nur vermuten wie damals musiziert wurde. Viele Musikforscher haben sich da ordentlich den Kopf zerbrochen um es möglichst genau zu ermitteln. Schlussendlich ist das aber alles ohne Tonaufzeichnungen nur Spekulation. Kann so sein, kann aber auch ganz anders gewesen sein.

Diese "Argument" liest man zwar immer wieder, es ist aber keines. Erstens gibt es hinlänglich gut erhaltene historische Instrumente, man weiß also sehr genau, wie die klingen. Eine Stradivari wird um 1700 nicht anders geklungen haben als heute.
Zweitens gibt es auch in puncto Phrasierung, Artikulation etc. reichlich zeitgenössisches Material bzgl. Spielanweisungen. Das Wissen über historische Musizierweisen ist also ziemlich genau und weit jenseits jeglicher "Spekulation".
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Jamer »

Ich möchte auch einige Sätze zur Barocktrompete bzw. historischen Aufführungspraxis schreiben:

Zunächst einmal zur Spieltechnik & zum Equipment: Die damaligen Trompeter hatten keine besseren Instrumente und haben damals 24/7 mit diesen Instrumenten herumhantiert, bis es irgendwie funktioniert hat. Ich kenne wenige Trompeter, die sich wie die zweifellos dagewesenen "Meister" von damals ausschließlich auf das barocke Instrumentarium bzw. historische Aufführungspraxis konzentrieren. Klar gibt es Leute, die sich darauf spezialisiert haben und das auch lehren ABER alle die mit diesen Instrumenten spielen haben mittlerweile ausnahmslos auf der modernen B bzw. C-Trompete ihre Ausbildung begonnen und den entsprechenden Klang & "Hörpraxis" verinnerlicht. Was noch hinzukommt bei den Barocktrompeten: Lochlos vs. mit Löcher: Hatten die damaligen Trompeter Löcher in ihren Hörnern? NEIN, viel zu lange nicht. Trotzdem sehe ich bei den meisten historischen Aufführungen immer Trompete mit Löcher (logisch: Ist ja auch leichter zu spielen) und das ist dann schon das erste "cheaten" das man leicht erkennen kann. Dann das Thema Mundstück: Einige "Spezialisten" spielen auf modernen Mundstücken: Das verfälscht das ganze noch mehr. Also wenn man schon auf historische Aufführungspraxis besteht, sollte man lochlos und mit den damals verwendeten Mundstücken arbeiten, ansonsten ist es mMn schon mehr einer Verfälschung der historischen Aufführungspraxis als eine Nachahmung dieser.

Natürlich bringen es heute (gute) Leute hin, auf diesen historischen Instrumenten gut zu klingen. Ob das aber mit dem Klang aus der damaligen Zeit was zu tun hat, wissen wir aber schlicht und ergreifend nicht, weil die entsprechenden Tondokumente fehlen und weil viele doch gerne auf "Hilfsmittel" zurückgreifen (siehe den Absatz weiter oben). Zur getätigten Aussage, dass man kein Tondokument "braucht", da alles so toll beschrieben sei: Aus meiner Sicht kann man noch so viele Beschreibungen & Anleitungen lesen wie man will, aber das worauf es ankommt in der Musik - also die "wahre" Musik - steht bekanntlich nicht auf einem Blatt Papier oder in den Noten.

Ich möcht auch noch ins Spiel bringen, dass bei Werken mit Gesang/Chor in der Barock und Klassik damals Kastraten sehr populär waren - zum Glück gibt es diese heute nicht mehr. Heute singen diese Partien fast ausschließlich Sopranistinnen, was den Gesamtklang natürlich schon sehr stark beeinflusst. Allein deswegen ist eine adäquate "historische Aufführungspraxis" meiner Meinung nach schwer möglich und auch ein wenig ein "Etikettenschwindel". Die Musik hat sich weiterentwickelt. Die Instrumente haben sich weiterentwickelt. Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Warum man etwas hinterherläuft, das man heute ohnehin nicht mehr adequat darstellen kann, erschließt sich mir nicht.

Daher sind Konzerte in historischer Aufführungspraxis meiner Meinung nach gut gemeint, aber eher wenig zielführend - und sind für meine Ohren oft sehr mühsam anzuhören.

Dieser Text spiegelt meine einfache Meinung wieder und ich möchte damit niemanden angreifen oder dessen Lebenssinn "historische Aufführungspraxis" nehmen.
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Singvögelchen »

Ich möchte dieser als eher kritisch-ablehnend empfundenen Meinung des Kollegen doch in vielen Punkten widersprechen.
Dass es im Gegensatz beispielsweise zum Jazz in all seinen Entwicklungsstufen (ich geh da mal bis Scott Joplin zurück) keine originalen Tondokumente der Barockzeit gibt, ist leider ein Fakt, den wir nicht ändern können. Technisch bedingt sozusagen. Mit diesem Totschlagargument könnte man aber jegliche Musik ablehnen, die nicht im Original auf Konserve verfügbar ist. Das wäre äußerst schade, viele hundert Jahre Musikentwicklung für die Katz...

Aber es gibt einen Haufen anderer Sachen, die eindeutig überliefert sind: Instrumente (Orgeln, Streichinstrumente in teilweise erstklassiger Originalqualität), Notenmaterial (das ist eine abendländische kulturelle Errungenschaft, die leider komplett unterschätzt wird) und auch zahlreiche textliche Beschreibungen, wissenschaftliche Abhandlungen (Stimmungstheorien noch und nöcher) über die Musik der damaligen Zeit.

Dass die Trompeter der Barockzeit komplett anders ausgebildet wurden als heute, steht auch außer Frage. Damals (kann man u. a. bei Altenburg nachlesen) musste eine ausgiebige musikalische Vorbildung auf Streichinstrument oder Taste bzw. Gesang vorliegen, sonst hatte man keine Chance, als Lehrling aufgenommen zu werden. Also allgemeine Musikalität mit geschultem Gehör, dazu die speziellen körperlichen Vorzüge bei Atmung und Ansatz, um den geforderten Tonvorrat dann doch recht bald zu erreichen.
Für die damaligen nicht-chromatischen Naturtoninstrumente war das zweifellos der einzig gangbare Weg, den hat man offenbar erfolgreich beschritten. Die Trompete als Instrument, was über den anderen steht, weil sie am schwierigsten zu bedienen und damit erst am letzten Schluss der musikalischen Ausbildung erlernt werden konnte. Von Ansatzkrisen jedenfalls ist in der Literatur nirgendwo die Rede, vielleicht hat diese alte ganz harte Schule tatsächlich die Spreu vom Weizen getrennt von Anfang an. Okay, Spekulation, wir werden es nie erfahren...

An den menschlichen Stimmen hat sich übrigens am wenigsten geändert seit der Barockzeit. Einfach, weil da die Technik im Gegensatz zum Instrumentenbau den wenigsten Einfluss hat. Die Knabenchöre arbeiten wie eh und je, der Stimmbruch geht etwas eher los als früher. Kastraten gibt es keine mehr, aber die waren auch damals die große Seltenheit. Bach hat da lieber für seine Cousine komponiert...will sagen, er und viele andere hatten entweder Knabensopräne oder Frauenstimmen zur Verfügung. Dafür gibt es heute die Spezialität des Countertenors/Altus, und diese Burschen mit Altstimme werden ständig perfekter. Noch nicht auf dem Popstar-Niveau eines Farinelli, aber mit Tendenzen in diese Richtung.
Wozu nun der ganze Text? Ich persönlich finde es unglaublich faszinierend, dieser meiner Lieblingsmusik komplett auf den Grund zu gehen und nachzuforschen, unter welchen Umständen und Voraussetzungen diese komponiert wurde und auch zum Klingen gebracht wurde. Eine Aufführung an einem Originalort bereitet einem Herzblutmusiker immer noch Gänsehaut, egal ob Thomaskirche (Bach) oder Festspielhaus (Wagner/Bayreuth) Eine Bachkantate mit Barocktrompete zu erarbeiten ist ein echtes Abenteuer, manchmal muss ich das auch abbrechen, weil ich es nicht hinbekomme. Aber dann als Alternative dazu eine Piccolotrompete einzusetzen, empfinden viele als steril und mechanisch. Wenn man versucht, die Vorteile beider Instrumente zusammenzubringen, also die unglaublich feine Klangfülle der langen Barockröhre und die technische Präzision der modernen Ventiltechnik, dann könnte sich die Musikwelt wieder ein Stück weiterentwickeln.
Ich kann nur jedem hier im Forum raten, sich mal eine Weile eingehend mit historischen Instrumenten zu beschäftigen, mit lochloser Naturtrompete, mit Zugtrompete, mit Drei- und Vierlochtrompete. Zink, Naturhorn...alles gehört dazu. Man bekommt einen riesigen Respekt vor den Altvorderen, was die geleistet haben müssen. Und das haben sie, denn sonst hätten Bach und Händel und Scarlatti und wie sie alle heißen nicht ständig wieder für unser wunderbares Instrument komponiert. Man lernt außerdem die Musik viel intensiver kennen, vieles an Phrasierung und Textbezogenheit wird da erst richtig deutlich. Und ja, es gibt mittelmäßig-schlechte Aufführungen der Alten Musik, aber eben auch ganz herausragende. Auch trompetentechnisch...wie überall.

Jetzt habe ich zum gesammelten Halbwissen des Vorschreibers eine weitere Hälfte hinzugefügt. Bin gespannt, wieviele Hälften noch folgen werden, damit es ein vollständiges Bild gibt.
Liebe Grüße vom Singvögelchen!


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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Jamer »

Singvögelchen hat geschrieben: Dienstag 22. August 2023, 22:43 Ich möchte dieser als eher kritisch-ablehnend empfundenen Meinung des Kollegen doch in vielen Punkten widersprechen.

An den menschlichen Stimmen hat sich übrigens am wenigsten geändert seit der Barockzeit. Einfach, weil da die Technik im Gegensatz zum Instrumentenbau den wenigsten Einfluss hat. Die Knabenchöre arbeiten wie eh und je, der Stimmbruch geht etwas eher los als früher. Kastraten gibt es keine mehr, aber die waren auch damals die große Seltenheit. Bach hat da lieber für seine Cousine komponiert...will sagen, er und viele andere hatten entweder Knabensopräne oder Frauenstimmen zur Verfügung. Dafür gibt es heute die Spezialität des Countertenors/Altus, und diese Burschen mit Altstimme werden ständig perfekter. Noch nicht auf dem Popstar-Niveau eines Farinelli, aber mit Tendenzen in diese Richtung.

Jetzt habe ich zum gesammelten Halbwissen des Vorschreibers eine weitere Hälfte hinzugefügt. Bin gespannt, wieviele Hälften noch folgen werden, damit es ein vollständiges Bild gibt.
Hallo Singvölgelchen!

Deine Meinung zum Thema Barocktrompete bzw. genereller historischen Aufführungspraxis sei dir natürlich unbenommen. Das Problem ist, du widersprichst mir nicht - wie oben angekündigt - sondern du gibst nur lose Spekulationen von dir und tätigst dann auch noch Falschaussagen: Du behauptest, dass Kastraten damals eine "Seltenheit" darstellten. Doch dass deren Popularität vom 17. Jahrhundert bis in das frühe 19. Jahrhundert an ihrem Höhepunkt angelangt war, ist in der Musikgeschichte eindeutig dokumentiert: Das kann man u.a. an vielen Werken von Mozart, Rossini, Händel oder Monteverdi schön nachverfolgen und wenn man sich im Rahmen seiner Ausbildung mit Musikgeschichte befasst hat, müsste man das eigentlich wissen. Das kann man auch hier schön nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Kastrat

Um den ganzen noch die Krone aufzusetzen, unterstellst du mir "gesammeltes Halbwissen". Auf meine wesentlichen Argumenten aus meinem Beitrag hier bist du nicht eingegangen, nochmal zu Erinnerung:

Spieltechnik & Equipment:
- Ausbildung auf moderner Trompete während die Trompeter zur damaligen Zeit keine "besseren Instrumente" hatten - anderes gelerntes "Klangideal".
- Lochlos vs. Instrumente mit Löcher = "Cheaten" = Verfälschung der historischen Aufführungspraxis & dessen Klang als eine Nachahmung dieser.
- Die Instrumente von damals werden heute tw. auf modernen Mundstücken gespielt = Verfälschung der historischen Aufführungspraxis & dessen Klang als eine Nachahmung dieser.

Weiters:
- Auf Grund des fehlenden Kastratgesang ist eine adäquate "historische Aufführungspraxis" meiner Meinung nach heute bei vielen Werken nicht mehr möglich möglich = "Etikettenschwindel".
- Warum läuft man etwas hinterher, das man heute ohnehin nicht mehr adäquat darstellen kann?

Das in deinen Augen "Totschlag-Argument" mit dem fehlenden Tondokument schenke ich dir, möchte aber nochmals zu bedenken geben: Beschreibungen & Anleitungen - egal zu welchen Thema - können missinterpretiert werden: Deswegen find' ich es lustig, mit welchen "Absolutismus" und Selbstsicherheit sich einige "Experten" in diesem Gebiet aufspielen und meinen, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben. Das ist es auch was mich an diesem Gebiet der Musik am meisten stört.

Zum Abschluss nochmal: Meine Beiträge hier spiegeln meine einfache Meinung wieder und ich möchte damit niemanden angreifen oder dessen Lebenssinn "historische Aufführungspraxis" nehmen. An einer offenen Diskussion zu diesem Thema bin ich aber hingegen sehr interessiert, vor allem da ich die Argumentation der Anhänger der historischen Aufführungspraxis - trotz der von mir tw. aufgezählten Argumente gegen dieses zwanghafte Nachahmen, was gewesen sein könnte - verstehen möchte.
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Alextrumpet »

Rein musikalisch hat beides für mich seinen Reiz. Eine richtig gut musizierte Barocktrompete mit einem frischen beweglichen Ensemble drumherum macht wirklich Spaß zum zuhören, aber es hat auch was wenn man wie Stokowski mit seinen Bach-Arrangements mal sämtliche historische Aufführungspraxis über Bord wirft und mit den Tönen von Bach spätromatisch musiziert.

Allerdings der historischen Aufführungspraxis die Berechtigung abzusprechen weil es keine Tonaufnahmen aus der Zeit gibt finde ich zu einfach. Auch alte Aufnahmen können verfälscht klingen und gleichzeitig gibt es wirklich extrem viel zeitgenössische Literatur, die Aufschluss über Spielweisen, -Techniken, Artikulation, Verzierungen geben. Natürlich kann das missinterpretiert werden(zum Beispiel gab/gibt es die musikwissenschaftliche Strömung, dass die Tempoangaben von Beethoven und seien Zeitgenossen halbiert werden müssen), aber gerade diese Forschungsarbeit kann zu neuen Interpretationen der alten Werke führen.

Und zu den Instrumenten muss ich sagen, dass die Barocktrompete mit löchern klanglich der lochlosen Barocktrompete sehr viel näher kommt als der modernen Trompete. Natürlich gibt es Unterschiede, aber es kommt dem Original sehr nah klanglich und ist intonatorisch wesentlich einfacher zu bedienen und anzuhören. Und natürlich fangen Leute erstmal auf "normalen" Trompeten an zu lernen und müssen dann für Barocktrompete umlernen. Aber bei der Piccolo muss man auch sehr viel Zeit investieren bis man sie beherrscht. Da würde auch keiner auf die Idee kommen, dass man deswegen keine Stücke mit Piccoo aufführen soll...
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Singvögelchen »

https://youtu.be/PH46hHfOO3c?si=69Jx_UE-WVDPT4xX

https://youtu.be/mM9lpVIC_JQ?si=a0gts6wcktFdLorV

Ich hab da mal zum besseren Verständnis zwei youtube-Aufnahmen ausgegraben, die gegensätzlicher nicht sein können, dennoch beide absolut faszinierend und bewundernswert. BWV 51 "Jauchzet Gott in allen Landen", einmal von 1957, das andere Mal von 2011. Heißt aber nicht automatisch, historisch vs. modern, eher umgekehrt romantisch vs historisch informiert. Aufnahme 1 (die ältere) ist entstanden, als der Concentus musicus in Wien seine allersten Auftritte hatte, also die Bewegung der historischen Aufführungspraxis gerade den Geburtskanal passierte. Die Weltkarriere eines Maurice André mit einem bisher nie dagewesenen neuen Niveau der Trompetenvirtuosität begann erst ein paar Jahre später endgültig nach dem Gewinn des ARD-Wettbewerbes 1963, als durch Rundfunkaufnahmen und Schallplatten der Bekanntheitsgrad stieg. Man spielte also so, wie man es zur damaligen Zeit für angemessen und richtig hielt. Kein überstürztes Tempo, eher für heutige Hörgewohnheiten extrem langsam, keinerlei zusätzliche Verzierungen, eine Artikulation im sogenannten non-legato Stil, eine Besonderheit aus einer Zeit, wo man Barockmusik durch überharte Artikulation von der Musik anderer Epochen abgrenzen wollte. Diese Artikulation würde man heute wohl eher beim Schwert-Motiv verwenden. Dafür hat die Sopranistin alle Koloraturen vollständig ausgesungen, da wurde keine Sechzehntelnote verschluckt. Wurde die Trompetenpartie auf einer C-Trompete eingespielt oder einer damals hin und wieder benutzten D- oder F-Trompete? Schwer zu sagen, auf jeden Fall souverän abgeliefert durch einen der besten Orchestertrompeter Deutschlands, der noch mehrere Jahrzehnte nach dieser Aufnahme souverän bis zur Pensionierung durchgehalten hat. (Die Original-Schallplatte steht in meinem Regal)
Aufnahme 2 glänzt in erster Linie durch ein super sportliches Extremtempo, welches tatsächlich konsequent bis zum Schluss durchgezogen wird. Je nach Geschmack wird das als Offenbarung oder durchgehetzt empfunden. Verzierungen allesamt wie in der alten Musik üblich, die lange Barocktrompete mit 4 Löchern (der übliche zeitgemäße Kompromiss nach historischer Vorlage), nahezu perfekt und fehlerfrei gespielt.

Ja und irgendwo zwischen diesen Extremen und vielleicht noch vielen anderen muss man sich seine eigene Interpretation basteln, wenn man diese wunderbare Musik spielen möchte. Da muss man sein Tempo finden, sein Instrumentarium, sein Ensemble. Wenn der Dirigent unerfüllbare Anforderungen (Tempo 130 plus, Lochlos usw...) stellt, dann kann eine Absage größere Schäden verhindern. Aber je mehr man eine Interpretation mit Argumenten untermauern kann, umso überzeugender wird diese rüberkommen. "Richtig" und "Falsch" sind da schlechte Begriffe, es entwickelt sich schließlich immer weiter. Wäre ja eine Katastrophe, wenn es wirklich überall exakt gleich klingen würde. Das wäre der Tod der Musik, wie wir sie kennen. Die Musikforschung ist mit ihren Erkenntnissen auch noch lange nicht am Ende, da kommt ständig neuer Input, den man musikalisch verwenden kann.
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Re: Barocktrompete bzw. generell histor. Aufführungspraxis

Beitrag von Paul »

[quote=Singvögelchen]Wurde die Trompetenpartie auf einer C-Trompete eingespielt oder einer damals hin und wieder benutzten D- oder F-Trompete? Schwer zu sagen, auf jeden Fall souverän abgeliefert durch einen der besten Orchestertrompeter Deutschlands, der noch mehrere Jahrzehnte nach dieser Aufnahme souverän bis zur Pensionierung durchgehalten hat. (Die Original-Schallplatte steht in meinem Regal)[/quote]

Der Trompeter ist Armin Männel, Urgestein des Gewandhausorchesters Leipzig,
mehr als vierzig Jahre 1957 bis 1998 im Gewandhausorchester.
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